in der Rhein-Neckar-Region einst eine große Bedeutung hatte?

Dass Tabak seinen Ursprung in Amerika hat und durch Kolumbus den Weg von der Neuen in die Alte Welt fand, ist landläufig bekannt. Nur wenige wissen jedoch, dass die Verbreitung der Pflanze in Deutschland von einem kleinen Ort am Südzipfel der Rhein-Neckar-Region ausging.

Jean Nicot, französischer Diplomat und Gesandter am portugiesischen Hof, beschäftigte sich seinerzeit in Lissabon mit der vermuteten „Heilwirkung“ des Tabaks und schickte im Jahr 1561 Tabaksamen an den französischen Hof. Rasch verbreitete sich die botanische Neuheit in Frankreich. Bereits im Jahre 1573 hatte ein gewisser Pfarrer Anselmann einige Samenkörner der so genannten „herba nicotiana“, die er von Lothringen-Elsaß mitgebracht hatte, in seinem Pfarrgarten im grenznahen Ort Hatzenbühl ausgesät. Wie sich zeigte, ließen der gute Boden und das milde Klima in der Südpfalz die anspruchsvolle Staudenpflanze bestens gedeihen.

Diente sie zunächst noch als Zierpflanze, sprach sich der Nutzwert ihrer Blätter schnell herum. Von Hatzenbühl aus verbreitete sich ihr Anbau über die Vorderpfalz und Deutschland. Pfalzgraf Friedrich IV. ordnete 1598 weitere Anbauversuche in der Kurpfalz an. Zum allgemeinen Genussmittel entwickelte sich das „Rauchkraut“ zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Der Überlieferung nach betrieben schon um 1660 eingewanderte Hugenotten in Mannheim Schnupf- und Kautabakgeschäfte.

Frauen bei der Tabakernte in Lorsch

Hatzenbühl: älteste Anbaugemeinde der Republik

Um 1880 waren in der Region rund 200.000 Pflanzer mit dem Anbau auf mehr als 20.000 Hektar beschäftigt. 1973, 400 Jahre nach der ersten Aussaat, war Hatzenbühl im Kreis Germersheim mit 265 Hektar Anbaufläche sowohl die älteste als größte Anbaugemeinde der Republik. 320 Betriebe lebten im Haupt- oder Nebenerwerb von der Tabakwirtschaft. In den Jahren danach ging die Zahl stetig zurück, bedingt durch Industrialisierung, sinkende Preise und nicht zuletzt gesundheitliche Aufklärung. 2010 schließlich stellte die Europäische Union die Subventionierung des Tabakanbaus ein.

In der Südpfalz – neben Hatzenbühl vor allem Herxheim und Rülzheim – zeugen heute neben verbliebenen rund 80 Hektar Tabakfeldern noch zahlreiche erhaltene Tabakschuppen von der einst großen wirtschaftlichen Bedeutung. Den vielleicht schönsten Eindruck vermittelt in der Sommerzeit der Tabak-Rundweg (auch geeignet für eine Radtour). Das kulturelle Andenken pflegt das 3000-Einwohner-Dorf Hatzenbühl jedes Jahr mit der Kür einer „Tabakkönigin“ sowie einem festlichen „Tabak-Einlese-Wettbewerb“. Wie bis zur Mechanisierung zum Ende der 1950er Jahre üblich, werden dabei die Blätter per Hand mit großen Schnüren (Bandeliere) eingefädelt, sprich: eingelesen, und dann im Schuppen zum Trocknen aufgehängt.

Lorsch: Sammlerstück „Lorsa Brasil“

Auch ganz im Norden der Region, speziell in Lorsch im Kreis Bergstraße, besaß die Tabakwirtschaft einen hohen Stellenwert. Erstmals erwähnt um 1680, verströmte die imposante Staude 300 Jahre lang ihren herb-würzigen Duft in der südhessischen Stadt. Zur Hoch-Zeit in den 1920er Jahren bewirtschaftete man 50 Hektar Anbaufläche. 18 Fabriken stellten Zigarren her und über 2000 der 5500 Bürger waren in der Tabakverarbeitung beschäftigt. Die noch erhaltenen Reste der Klosterbasilika verdanken ihre Existenz der Tatsache, dass man sie einst zum Trocknen der Ernte nutzte. Das 1995 eröffnete Lorscher Tabakmuseum hat heute mit über 600 m² Ausstellungsfläche und mehreren Tausend Exponaten die größte Sammlung zum Thema deutschlandweit. Aficionados freuen sich zudem über eine auf wenige Tausend Stück limitierte Auflage der Zigarre „Lorsa Brasil“, die mit Lorscher Tabak der Sorte „Geudertheimer“ gerollt wird. Denn seit 2013 wird im Rahmen eines Bürgerprojekts im Welterbe-Areal Kloster Lorsch Tabak im kleinen Stil wieder angebaut, um die Tradition auch für nachfolgende Generationen erlebbar zu machen. Wer sich selbst mal als Pflanzer und Ernter versuchen möchte, ist vom Kulturamt herzlich zum Mitmachen eingeladen. Eine Tabakführung durch Lorsch kann man außerdem über die Tourist-Info Nibelungenland buchen.

Rödersheim: Dorado der Zigarrendreher

In verwandter Tradition mit Lorsch steht Rödersheim-Gronau im Rhein-Pfalz-Kreis, wo 2009 das sozialhistorische Zigarrenfabrikmuseum eröffnete. Es dokumentiert, wie sich der Ort, auf halbem Wege zwischen Ludwighafen und dem Haardtrand gelegen, nach über 1200 Jahren landwirtschaftlicher Strukturen innerhalb weniger Jahrzehnte von der Bauernsiedlung zur modernen Industriearbeiter- und Dienstleistungs­gemeinde wandelte. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts siedelten sich mehrere Zigarrenfabriken an; in Spitzenzeiten zählte man rund 800 Beschäftigte. Das damalige 1200-Einwohner-Dorf Rödersheim galt als Dorado der Zigarrenmacher. Im Vergleich zu Lorsch und Hatzenbühl lag der Schwerpunkt klar auf der Verarbeitung des Tabaks, gleichwohl schloss die letzte Fabrik bereits 1967. Die Erinnerung und das Wissen um die Handwerkskunst am Leben erhält der Museumverein mit regelmäßigen Veranstaltungen vor Ort sowie einer „mobilen Zigarrenmanufaktur“.

Im Frühjahr 2020 haben sich die Orte Lorsch und Hatzenbühl sowie aus dem Rhein-Neckar-Kreis Heddesheim, Hockenheim und Schwetzingen zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, um den Tabakanbau in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufnehmen zu lassen.

Bleibt zu erwähnen, dass auch die offizielle Namensgebung des Tabakwirkstoffs in der Region festgeschrieben wurde: 1828 isolierten die Heidelberger Chemiker Karl Ludwig Reimann und Christian Wilhelm Posselt erstmals das für die Pflanze charakteristische Alkaloid und gaben ihm Jean Nicot zu Ehren den Namen „Nicotin“; „Nicotiana“ ist seitdem auch wissenschaftlicher Gattungsbegriff für das Nachtschattengewächs.