Im Schatten der Heppenheimer Starkenburg liegt eine der umtriebigsten Amateur-Sternwarten Deutschlands. Nicht nur, weil ihr Verein sogar mit der Europäischen Weltraumorganisation ESA kooperiert. Sondern auch, weil ihre Mitglieder äußerst fleißige Kleinplaneten-Entdecker sind.

Heppenheim ist ein unwirtlicher Ort. Karg und kalt. Bei einem Durchmesser von etwa fünf Kilometern reicht die Anziehungskraft vermutlich nicht einmal, um einen normalen Schritt zu machen. Außerdem ist Heppenheim verdammt weit weg. Der Gesteinsbrocken umkreist die Sonne irgendwo zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter und ist von der Metropolregion rund 500 Millionen Kilometer entfernt. Denn Heppenheim ist ein Kleinplanet, mit der eingetragenen Nummer 14080. Entdeckt wurde er 1997 – von Vereinsmitgliedern der Starkenburg-Sternwarte.

Die Starkenburg-Sternwarte auf dem Schlossberg hinter der Heppenheimer Starkenburg.

„Es war reiner Zufall“, erzählt Rainer Kresken, Vorsitzender des Sternwarten-Vereins, dessen Mitglieder damals mithalfen, die Neuentdeckung zu katalogisieren. „Einige Jahre zuvor hatte der Verein eine CCD-Kamera für die Astrofotografie angeschafft.“ Sie wollten etwas Sinnvolles damit tun, auch als Amateure etwas zur Wissenschaft beitragen. Also begannen sie, über Fotos Positionen von Kleinplaneten zu bestimmen und ihre Bahnen zu berechnen. Eines Tages bemerkten Karin Sonnenberg, Reiner Stoss und Wolfgang Ernst neben einem bekannten Kleinplaneten ein weiteres Objekt. Sie beobachteten es über mehrere Tage und waren sich schließlich sicher: Dieses hier war neu, unentdeckt. So meldeten sie den Kleinplaneten, auch Asteroid genannt, dem Minor Planet Center in den USA. Als dieser schließlich eine offizielle Nummer bekam, war sein Name schnell gefunden: Heppenheim.

Rainer Kresken, Vorsitzender des Sternwarten-Vereins.

Die Sternwarte im „richtigen“ Heppenheim liegt sehr idyllisch. Im Schatten der Starkenburg auf dem Schlossberg, umgeben von Wald. Es ist ungewöhnlich dunkel hier oben, nur ab und an blitzen die Lichter der Städte im Tal durch die Bäume. Ein Waldkauz heult in die Stille hinein. Die Nacht ist klar, über der Terrasse erstreckt sich ein Sternenpanorama, wie man es mitten in der Metropolregion selten erlebt. Es sei allerdings nicht immer so dunkel hier oben, erklärt Kresken. Normalerweise erhellt die beleuchtete Starkenburg den Himmel. Doch in klaren Nächten bleibt das historische Gemäuer dunkel – für einen ungestörten Blick zu den Sternen.

Dass es hier überhaupt eine Sternwarte gibt, haben die Heppenheimer zwei Friseuren zu verdanken: Alfred Sturm und Martin Geffert. Die beiden begeisterten Hobby-Astronomen hatten die Idee, in ihrem Heimatort eine Sternwarte zu bauen. Abends, nach Feierabend, rückten sie an, mit Betonmischer und Schaufel. 1973 gründeten sie den Verein „Astronomischer Arbeitskreis im Kulturkreis Heppenheim“, der seit 1991 Verein „Starkenburg-Sternwarte“ heißt. Zu ihm zählen rund 170 Mitglieder, die Zahl ist quasi seit Jahrzehnten konstant.

„Die Sternwarte ist deutschlandweit bekannt“

Nach der Entdeckung von „Heppenheim“ brach in der Sternwarte das Jagdfieber aus. Mehrere Vereinsmitglieder gründeten das „Minor Planet Hunting Team“, sozusagen eine Kleinplaneten-Jagdgesellschaft, die bis heute 50 weitere Asteroiden ausfindig gemacht hat. „Dann kamen wir mit unserer Technik nicht mehr weiter“, erzählt Kresken. Er selbst war 1998 vom Niederrhein in die Region gekommen – im Prinzip haben ihn die Sterne hierhergeführt.

Rainer Kresken am größten Teleskop der Sternwarte, dem „Mühleis“.

Kresken hatte schon als Teenager begonnen, den Nachthimmel zu beobachten. Fasziniert vom Weltall, seit er 1969 als Siebenjähriger gebannt die Mondlandung im Fernsehen miterlebte. Die Astronomie war für ihn immer mehr als nur ein Hobby, er studierte Maschinenbau sowie Luft- und Raumfahrttechnik in Aachen. 1998 trat er dann seine Stelle als Raumfahrtingenieur am europäischen Raumflugkontrollzentrum der ESA in Darmstadt an. Die Starkenburg-Sternwarte war ihm allerdings schon vorher ein Begriff. „Sie ist ja deutschlandweit bekannt für ihre überdurchschnittliche Arbeit im Amateurbereich.“ Deshalb fuhr er, kaum in Darmstadt angekommen, hoch auf den Heppenheimer Schlossberg „und da blieb ich hängen“. Kresken lacht. Wenig später wurde er Vereinsmitglied und ließ sich vom Kleinplaneten-Jagdfieber anstecken. Als klar war, dass die Vereinsmitglieder eine neue Ausstattung brauchen, fragte er kurzerhand bei der ESA an. Sie bekamen die Genehmigung, das Teleskop der Optical Ground Station in der Nähe des Berges Teide auf Teneriffa mit zu nutzen. Inzwischen tragen „ihre“ Asteroiden Namen wie Alfredsturm, Geffert, Arthurdent oder Haraldlesch.

Die Beobachtungsterrasse der Sternwarte. Das rote Licht stört die Nachtsicht nicht.

Mittlerweile hat sich die Terrasse der Sternwarte gefüllt, immer mehr Vereinsmitglieder stehen an den verschiedenen Teleskopen. Der 19-jährige Felix Wenz löchert Matthias Busch, der seit 1985 im Verein aktiv ist, mit Fragen, bis Kresken plötzlich das Gespräch unterbricht. „He, hallo! Da kommt die ISS!“ Er zeigt auf einen hellen Punkt, der sich schnell über den Himmel bewegt. Die Internationale Raumstation ist nur zu sehen, solange sie noch von der Sonne beschienen wird. Nach nur wenigen Sekunden verblasst der Punkt und verschwindet in der Dunkelheit. Busch holt einen starken Laserpointer, fährt Sternenbilder damit ab, zeigt in den Teleskopen Galaxien und Sternhaufen – geduldig und auch für vollkommene Laien gut verständlich. Es ist beinahe unmöglich, sich nicht von der Begeisterung der Vereinsmitglieder anstecken zu lassen.

Eines der jüngsten aktiven Mitglieder der Sternwarte: der 19-jährige Felix Wenz.

Genau das wollen sie auch: begeistern. Jeden Dienstag gibt es auf der Sternwarte einen Vortrag. Nicht selten kommen dafür Experten der ESA oder NASA nach Heppenheim. Und auch der Astrophysiker und Fernsehmoderator Harald Lesch war da, als Dank für den nach ihm benannten Kleinplaneten. Die Veranstaltungen sind frei, ebenso wie die Beobachtungsabende, zu denen die Sternwarte immer freitags einlädt – vorausgesetzt das Wetter passt. Auch für die Kleinen hat die Sternwarte ein extra Programm. Regelmäßig führen die Vereinsmitglieder Kinder von der Jugendherberge Starkenburg durch die Sternwarte, es gibt Kindervorträge und eine eigene Astronomie-AG für Schüler. Und wer die Dimensionen unseres Sonnensystems begreifen will, kann den Planetenweg entlangwandern. Vom Planeten Pluto am Rande der Heppenheimer Altstadt (Kleine Bach 3), führt der Weg durch die Weinberge bis man nach etwa drei Kilometern die Sonne am Eingangstor der Starkenburg-Sternwarte erreicht.

Vom Pluto über den Neptun bis zur Sonne – der Planetenweg führt von der Heppenheimer Altstadt bis zur Sternwarte.

Kresken führt nun runter von der Terrasse. Der Vortragssaal ist in Rotlicht getaucht. „Die Augen brauchen lange, bis sie sich auf die Dunkelheit eingestellt haben. Weißes Licht würde die Pupillen wieder schlagartig weiten.“ Am anderen Ende des Saals führt eine Treppe hoch in die Kuppel der Sternwarte. Hier steht ein großes Teleskop, das der Hobbyastronom Fritz Mühleis der Sternwarte vermacht hat. Kresken flüstert nun fast: „Da drin sieht man wirklich unglaubliches!“ Ruckelnd und rattelnd fährt die Öffnung der Kuppel in Position. Über dem Teleskop liegt nun der winterliche Sternenhimmel. Es ist die Ruhe, die Kresken am Beobachten schätzt, die Einsamkeit, die Dunkelheit – „und klar, die visuelle Schönheit“. Er hält kurz inne. „Es ist doch einfach unglaublich, dass das Licht, das wir heute von der Andromedagalaxie sehen, über zwei Millionen Jahre unterwegs war.“ Ob er sich hier oben nicht ab und zu klein fühlt, angesichts dieser Zahlen? „Nein“, sagt Kresken, „überhaupt nicht. Ich fühle mich eher als Teil des Ganzen.“


www.starkenburg-sternwarte.de

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